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Der Kampf um die Köpfe
Der Kampf um die Köpfe
Die Neue Rechte zielt auf eine Transformation der gesellschaftlichen Wertvorstellungen ab. Der Kulturbereich kommt dabei unter scharfen Beschuss. Doch die rechte Gefahr besteht nicht nur im Außen.
Von Carina Book
Seit Gründung der AfD werden auch Kultur- und Bildungseinrichtungen vermehrt zu Zielscheiben der extremen Rechten. Ob durch Kleine Anfragen der AfD, Forderungen nach Verdeutschung der Programme bis hin zu Todesdrohungen – die Angriffe und Drangsalierungen von rechts sind mannigfaltig. Durch sie werden Kultur- und Bildungseinrichtungen zu ungewollten Kombattantinnen in einem Kampf, von dem viele glaubten, dass er nicht zu ihnen vordringen würde. Ein Kampf, auf den viele der Akteure, vornehmlich weiß, bürgerlich und akademisch, nicht vorbereitet waren, wenngleich er schon seit unerträglichen Ewigkeiten gegen Schwarze Menschen, People of Colour, Sinti und Roma, Jüdinnen und Juden, Feminist*innen und Linke geführt wird.
Die Suche nach Gegenstrategien und Allianzen steht noch am Anfang. Sich gemeinsam zu wehren bedeutet auch die eigenen Strukturen im Kulturbetrieb hinsichtlich rassistischer Einschreibungen unter die Lupe zu nehmen. Bleibt »Diversität« eine Floskel, oder spiegelt sie sich real in den eigenen Strukturen wieder? Wer trifft Entscheidungen und wem werden Sprechpositionen eingeräumt? Werden rassistische Denkmuster auch in der eigenen Branche reflektiert? Gleichzeitig ist in Teilen des Kulturbetriebs eine Debatte über sogenannte „Cancel Culture“ entbrannt, die letztlich zwei Diagnosen zulässt: Zum einen wird darin erkennbar, dass es manifeste Unklarheiten über die Bedeutung der Begriffe „Meinungsfreiheit“, „Neutralität“ und „Kunstfreiheit“ gab und immer noch gibt. Ab 2017 wurde von vielen „Mit Rechten reden!“ zur Strategie gegen rechts ausgerufen. Es folgten unter anderem Interviews und Diskussionsrunden mit dem Kulturbeauftragten der AfD Marc Jongen, bei denen letztlich nicht die rechte Ideologie Jongens entlarvt, sondern in aller Regel die Hilflosigkeit derjenigen deutlich wurde, die mit Jongen in den Ring gestiegen waren.
Zum anderen entbrannte Ende 2019 eine, durch einen rechten Shitstorm ausgelöste Debatte über einen Kinderchor, der sich gegen den Klimawandel positionierte. Eine Debatte, die dazu führte, dass sich der Intendant des öffentlich-rechtlichen Westdeutschen Rundfunks öffentlich für die Ausstrahlung des Kinderchor-Songs entschuldigte. Diese und weitere Diskussionen wurden als Interventionen von Rechten inszeniert und offenbaren, dass es im Kulturbetrieb mancherorts einen mangelhaften demokratischen Kompass gibt. Auch die sogenannte Neutralitätsdebatte sorgte für größere Desorientierung unter Kulturschaffenden. Zahlreiche Schriftliche Kleine Anfragen und Anträge der AfD hatten insinuiert, dass Kunst und Kultur sich der Neutralität zu verpflichten hätten, wenn ihnen öffentliche Gelder zu Teil würden.
Diese Irritationen, Unsicherheiten und Debatten sind ganz nach dem Geschmack des rechten Verlegers und AfD-Freund Götz Kubitschek, der betont: „Unser Ziel ist keine Beteiligung am Diskurs, sondern sein Ende als Konsensform“. Martin Sellner, einer der führenden neurechten Kader im deutschsprachigen Raum rief gar einen „Infokrieg“ aus, dessen Ziel es sei, durch die Zerstörung des Diskurses die „Machtquellen des Gegners auszutrocknen und lahmzulegen“ (Martin Sellner). In der Debatte um eine vermeintliche „Cancel Culture“ wird letztlich der neuen Rechten das Wort geredet und eine offene Flanke für die neue Rechte konstruiert, die sie strategisch zu nutzen weiß.
Wer oder was ist die neue Rechte?
„Die alte Rechte ist tot. Sie hat es wohl verdient“, stellte einst der rechte Vordenker Alain de Benoist fest. In seiner Schrift „Kulturrevolution von rechts“ legte er 1985 dar, dass die Studentenbewegung der 1968er in Deutschland den „Kampf um die Köpfe“ geführt und dadurch eine „totalitäre kulturelle Hegemonie“ erlangt habe. Die Herausforderung der Neuen Rechten sei nun, diese kulturelle Hegemonie selbst zu erkämpfen.
Auf die Frage, wie eine Neue Rechte aussehen müsse, begann die intellektuelle Rechte in den 1970er Jahren eine Antwort zu suchen. Armin Mohler erfand in seiner Dissertation den Sammelbegriff der „Konservativen Revolution“. Das Ziel war es, extrem rechte Positionen aus dem Kontext des Nationalsozialismus herauszulösen, gewissermaßen „rein“ zu waschen und ihnen einen intellektuellen Anstrich zu geben. Andere begannen, sich bei der Theorie und Praxis der Linken zu bedienen. So schickte sich Benoist beispielsweise an, die Überlegungen des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci über Hegemonie und gesellschaftliche Kräfteverhältnisse aus ihrem Zusammenhang zu reißen und aus ihnen eine instrumentelle Strategie zur Machterlangung zu machen.
Die Neuen Rechten nennen diese Strategie „Metapolitik“ und zielen auf eine kontinuierliche Transformation der gesellschaftlichen Wertvorstellungen ab. Oberste Priorität hat die Erlangung der Meinungsführerschaft. Erst danach könnten extrem rechte Parteien wirklich erfolgreich sein und das rechte Klima in Parlamentssitze und Regierungsverantwortung überführen. Zentrales Kampffeld ist der Kulturbereich, weil er als „Befehls- und Ausgabestelle für die Werte und die Ideen“ verstanden wird, schrieb Benoist 1985. Die Zielsetzung sei die „Transformation der allgemeinen Vorstellungen (…), die mit einer langsamen Umformung der Geister gleichbedeutend ist“.
Das Ende des Diskurses
Die Identitären − eine in mehreren europäischen Ländern aktive Gruppierung der außerparlamentarischen Neuen Rechten − verstehen sich und ihren Aktivismus in diesem Geiste und sagen von sich selbst, sie seien eine metapolitische Gruppe. Den „vorpolitischen Raum“ wollen sie erobern, um die „kulturelle Hegemonie“ zu erringen. Die Alte Rechte hingegen habe Macht immer nur militärisch denken können. Das sei ein Fehler gewesen, den die Identitären nicht wiederholen wollen, schreiben sie in internen Papieren. Stattdessen konzentrieren sie sich beim Kampf gegen das behauptete totalitäre „Multikulti-Regime“ auf Aktionen auf der Straße und im Internet, wo sie einen „Infokrieg“ führen.
In diesem „Infokrieg“ greifen die Neuen Rechten auf alle Mittel der modernen Kommunikation zurück, docken an Trends und hippe Ästhetiken an und versuchen so in alle Lebensbereiche einzudringen. Die gezielte Umdeutung von bekannten Symbolen soll dazu dienen, die mit der Symbolik verbundenen Inhalte zu brechen. Neue Begriffe wie „Remigration“ anstatt Abschiebung, werden in den Diskurs eingeführt, um extrem rechte Inhalte verklausuliert kampagnenfähig zu machen. Die Betreiber des neurechten Youtube-Kanals „Laut gedacht“ erfreuen sich an mehr als 55.000 Abonnent*innen. Sie kommentieren auf satirisch anmutende Weise das aktuelle Zeitgeschehen und so fällt kaum auf, dass sie in ihrem Vlog, beinahe nebenbei, den Umbau der parlamentarischen Demokratie hin zu einem Führerstaat fordern.
Prototypisch ist darin eine Video-Sequenz für die Zielsetzung der „Neuen Rechten“. Es geht im Kern um die Revitalisierung einer nationalistischen Weltanschauung in neuem Gewand. Die Ideologie einer ethnisch homogenen Volksgemeinschaft, Nationalismus, Freund-Feind-Denken, autoritäre Unterordnung, Antiegalitarismus bis hin zum Führerkult, werden mit dem Youtube-Format als Ideologie auf moderne, fast hippe Weise dargeboten. Mit gekünstelter Empörung über das Fernbleiben von Abgeordneten im Europaparlament beratschlagen die beiden über identitäre Lösungen. Der Vorschlag Phillip Thalers: „Ja, oder wir verkleinern einfach die Sitze auf dreißig, dann haben wir nur noch Qualität und nicht mehr die Quantität.“ Alex „Malenki“ Kleine erwidert darauf: „Noch besser, wir machen nur 29 Sitze für 30 Abgeordnete und dann müssen die nach jeder Abstimmung „Reise nach Jerusalem“ spielen.“ (Thaler/Kleine 2017)
Das bekannte Kindergeburtstagsspiel, auf das hier rekurriert wird, endet immer damit, dass nur noch die schnellste und durchsetzungsstärkste Person übrigbleibt und gewinnt, während alle anderen ausscheiden. Im Beispiel bei „Laut gedacht“ bliebe also im Sinne der Identitären nur eine Person im Europa-Parlament: Ein Führer. Dieses antidemokratische Gebaren wird von den Identitären stets verklausuliert kommuniziert. Man spricht hierbei auch von Insinuation, nämlich der chiffrierten Andeutung an der Grenze der Justiziabilität. In einem anderen Video fragt Alex „Malenki“ Kleine: „Was haltet ihr von Geflüchteten in Zügen? Schreibt es in die Kommentare.“ Er macht eine verklausulierte Anspielung auf Deportationen von Jüdinnen und Juden in der Shoa, die nicht strafbar ist, aber von den Anhänger*innen der neuen Rechten verstanden wird, wie sich in den hunderten Hasskommentaren unter dem Video deutlich zeigte.
Sowohl durch die Inszenierungen von Kleinstaktionen als auch durch neurechte Kabarett-Formate und Merchandise bis hin zum Craft Beer wird der Versuch gemacht, eigene Akteure im Kulturbereich zu platzieren. Alain de Benoist stellte die Wichtigkeit derartiger Projekte für eine Transformation im Sinne der Neuen Rechten heraus: „Die ganze Macht der Schauspieler und der Vorführungen, der Unterhaltung und der Moden liegt im Übrigen in diesem […] Zug begründet, und zwar insofern als ein Roman, ein Film, ein Theaterstück, eine Fernsehsendung etc. auf lange Sicht politisch umso wirkungsvoller sind, als man sie zu Beginn nicht als politisch erkennt, sie aber eine langsame Entwicklung, eine langsame Verschiebung der Mentalitäten von einem Wertsystem in Richtung auf ein anderes verursachen.“
Chris Ares – Star am metapolitischen Himmel
Als metapolitisches Vorzeigeprojekt gelang es dem rechten Rapper Chris Ares 2019 mit seinem Album „Ares“ kurzzeitig auf Platz eins der iTunes-Charts zu gelangen. Mit rechtem Rap ist ein Genre entstanden, das der Neuen Rechten Zutritt zum HipHop, der bedeutendsten Jugendsubkultur in Deutschland, gewährt. „Vom schmuddeligen migrantisch geprägten Ghettorap, dem Singsang über Knast-Karrieren Gewalt, Drogen, Kriminalität und sozialen Abstieg, etabliert sich nun zunehmend ein Milieu, welches es sich zur Aufgabe gemacht hat, die wichtigen Fragen um unsere ethnokulturelle Identität in den Fokus zu rücken“, kommentiert die Identitäre Bewegung Deutschland auf ihrer Facebookseite. Chris Ares ist für seinen Geschichtsrevisionismus bekannt und Mitglied im „Bund deutscher Patrioten“, einer Mischung aus Anhängern der Partei „Die Rechte“, „Pegida“-Ordnern, ehemaligen NPD-Aktivisten, Rockern und rechten Hools. In seinem Lied „Deutscher Patriot“ heißt es: „Ein gebücktes Volk seit 70 Jahren und du darfst nicht sagen, dass du stolz bist, deutsch zu sein, ohne Gefahr zu laufen, in einem rechten Eck zu landen.“ Das gefällt der Identitären Bewegung: „Er prangert die antideutsche Haltung von Politik und Medien an, rechnet mit Schuldkult und Selbsthass der 68er ab und propagiert einen gesunden Patriotismus, der sich durch die Liebe zum Eigenen und nicht durch den Hass auf das Fremde auszeichnet.“
Kulturbetrieb unter Beschuss
Es wird offenkundig, dass es sich bei diesen „Neuen Rechten“ nicht um eine Gruppierung handelt, die sich aus dem demokratischen Diskurs ausgeschlossen fühlt und die jetzt wieder in die Gemeinschaft der Demokrat*innen integriert werden müsste. Ihr Ziel ist es nicht, in einen gesellschaftlichen Aushandlungsprozess zu treten. Sie verabscheuen ihn und wollen ihn zerstören. Der Kulturbereich wird als eines der Hegemonie schaffenden Zentren eines behaupteten „totalitären 68er-Regimes“ begriffen. Ob im Deutschen Theater in Berlin, auf der Frankfurter Buchmesse oder in den Hamburger Bücherhallen: Vielerorts gerät der Kulturbetrieb unter Beschuss. Denn er wird als eine Art zentrale Ausgabestelle für das derzeitige System verstanden.
Der Kulturbetrieb hat nach Meinung der Rechten die Funktion, die Menschen immer wieder davon zu überzeugen, dass sie in der Besten aller Welten leben. Die Neue Rechte versucht zum einen, diesen Stützpfeiler zum Einstürzen zu bringen, und zum anderen eigene Intellektuelle im Kulturbetrieb zu etablieren – alles um den Weg in ein neues System, in ihre „Beste aller Welten“ zu ebnen. Die neu-rechte „Beste aller Welten“ aber ist eine exklusive. In ihr sollen die Privilegien des weißen Mannes rekonstruiert und nach Carl Schmitt alles Heterogene vernichtet werden. Eine Dystopie, gegen die sich der Kulturbetrieb stellen und gesellschaftliche sowie historische Verantwortung übernehmen muss – genau wie der Rest der Gesellschaft. Dafür genügt es nicht, das Problem mit der Neuen Rechten ausschließlich außerhalb des Kulturbetriebs zu suchen.
Es braucht eine Auseinandersetzung mit Ein- und Ausschlüssen in den Betrieben. Hierbei müssen von Rassismus Betroffenen unbedingt Sprechpositionen eingeräumt werden: Ihnen zuzuhören hilft die Probleme zu verstehen, sich selbst zu reflektieren und zu evaluieren, was getan werden muss. Gleichzeitig müssen weiße Privilegien abgebaut und die diskursiven Waffen im Kampf gegen rechts geschärft werden. Dafür ist es unerlässlich zu fragen: Wessen Meinungsfreiheit wird verteidigt? Für wen werden Räume geöffnet und welche Exklusivitäten gibt es? Besonders jetzt, wo manche Kulturschaffende Abgrenzungsschwierigkeiten gegenüber Rechten und Verschwörungsideologen zu haben scheinen, muss der Kulturbereich schonungslos und mit offenem Visier in einen Streit darüber treten, was Kunstfreiheit, Subversion und Solidarität bedeutet.
Carina Book, geb. 1990, ist Politikwissenschaftlerin und Journalistin. Sie forscht und publiziert derzeit zur Entwicklung und Ideologie der „Neuen Rechten“. Zudem beschäftigen sie die Ursachen für das globale Erstarken rechter Kräfte und die Auswirkungen dessen auf demokratische Gesellschaften.